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SCHAUM.SCHLÄGER

Erstaunliches über Mythen, Halbwahrheiten und Wichtigtuer-Geschwätz

Schaum.Schläger

Ich mag diesen Sketch der Grünwald Freitagscomedy sehr und amüsiere mich jedes Mal aufs Neue:

„…ecuadorianische Schokolade, brasilianische Vanille, Oberpfälzer Beerenfrüchte, schwedische Eichenholztöne, kubanischer Tabak und einem Hauch Kokosnuss, aber wirklich nur ein Hauch.“…nichts könnte die Absurdität selbstproklamierter Weinkenner mehr verdeutlichen. Wie sich wohl die brasilianische Vanille z.B. von der weitaus verbreiteteren aus Madagaskar geschmacklich unterscheidet und das auch noch im Rahmen des komplexen Aromenspektrums eines hochklassigen Rotweins? Und stammen die Vanilletöne nicht eigentlich aus stark getoasteten Hölzern der Weinfässer, die aber zumeist aus Frankreich, den USA oder der ostkroatischen Region Slawonien stammen, aber sicher nicht aus Schweden? Was macht wohl die Beerenfrüchte aus der Oberpfalz so besonders, dass sie sich von „gewöhnlichen“ Johannis-, Himbeer- oder auch gelegentlich Erdbeer-Noten unterscheiden? Dies erinnert sehr an die Gaukeleien aus der Fernsehwerbung, wenn von „Piemont-Kirschen“, „Carmagnola-Minze“ und „Byzantiner Königsnüssen“ die Rede ist. Das Schöne daran ist ja, dass es so überaus kompetent klingt und ggf. sogar Eindruck schinden kann. Der Herr aus dem Sketch hat ja schließlich sein Ziel für den Abend auch erreicht…
Die Idee der sachgerechten Verballhornung vermeintlicher Weinexperten ist ja nicht ganz neu, hat schon fast eine herrliche Tradition. Wer kennt sie nicht, die „Oberföhringer Vogelspinne“, das „Hupfheimer Jungferngärtchen“ und den „Klöbener Krötenpfuhl“ in Loriots Klassiker „Weihnachten bei Hoppenstedts“ aus dem Jahr 1978: „…von deutschen Sonnenhügeln frisch auf den Tisch…abgezapft und original verkorkt von Pahlhuber und Söhne!“
Vermutlich lässt sich mit keinem Getränk so filigran angeben wie mit Wein. Gerade wenn die Mehrheit der anderen Gäste einer Gesellschaft eigentlich nur darauf aus ist, einfach ein Glas Wein zu genießen, kann die große Stunde der Önologie-Experten schlagen. Dann erscheint die Gelegenheit gekommen, mit pseudointellektuellen Floskeln und messerscharfen Analysen aus dem Molekularbiologie-Baukasten über die Bestandteile des Weins zu referieren und damit mächtig Eindruck zu schinden. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit macht man sich damit allerdings total zum Narren. Wer es aber dennoch darauf anlegt, seiner Profilneurose als Weinkenner freien Lauf zu lassen, dem seien die nachfolgenden Plattitüden ans Herz gelegt. Auf die Reaktion darf der Absender gespannt sein, wir sind es auch und freuen uns auf rege Erfahrungsberichte.

„Toll, genau so sollte ein Wein schmecken.“

Wer absolut keinen blassen Schimmer hat, was da den Weg vom Glas in die Kehle antritt, kann recht gefahrlos einen solchen Satz einwerfen, um einerseits das Wohlgefallen des Gastgebers zu erheischen, andererseits überhaupt etwas zu sagen, wenn einem ansonsten nichts einfällt. Vinophiler Opportunismus geht immer!

„Es fehlt zwar etwas an Komplexität, aber auf jeden Fall ist er sehr gefällig.“

Alternativ und ehrlicherweise könnte man auch sagen: „Dieses Gebräu schmeckt wie ein hypothetischer Blend aus Rotbäckchen-Saft und Glasreiniger.“ Wenn der Experte seine Verachtung für den vorgesetzten Wein möglichst subtil zum Ausdruck bringen möchte, kann er den Unterschied zwischen Denotation und Konnotation kaum deutlicher machen: „sehr gefällig“ ist so etwas wie „die kleine Schwester von Sch****“. Sicher tut der Experte dies, um bei seinem nächsten Besuch einen nach seiner Einschätzung besseren Wein vorgesetzt zu bekommen. Blöd nur, dass bei einer solchen Aussage die Wahrscheinlichkeit eines nächsten Besuchs gen Null tendiert…

„Trotz präsenter Säure ist der Wein schön ausgewogen.“

Säuren sind ein essenzieller Bestandteil des Weins. Der Weinkenner gibt mit dem Hinweis auf die präsente Säure zu erkennen, dass er richtig gut Bescheid weiß, was im Wein so drin ist. Vielleicht kennt er sich aber auch wirklich gut aus mit dem Geschmack von Schwefel-, Salz- und Flusssäure… Zumeist ist diese Floskel bei dem Genuss von Weißweinen zu hören, da die Säuren im Weißwein oft deutlicher herauszuschmecken sind als im Rotwein (deutsche Rieslinge sind hierfür ein bekanntes Beispiel). Durch die Wortkombination kann der Weinkenner wiederum seine herablassende Anerkennung für die vinophilen Bemühungen des Gastgebers äußern und gleichzeig klarmachen, dass er selbstverständlich schon tausende Weine getrunken hat, deren „Säurespiel noch ausgewogener“ ist.


„Der Wein hat eine wunderschöne Stachelbeer-Aromatik!“

Damit ist man bei der Beurteilung von Weißweinen ebenfalls auf der sicheren, weil völlig banalen Seite. Grüne Stachelbeeren haben ja ein säuerlich-herbes Aroma und schmecken…irgendwie nach nix! Mit reichlich süßenden Zugaben lässt sich daraus aber natürlich Udo Jürgens-„Aber bitte mit Sahne“-kompatibles Naschwerk fabrizieren. Und sicher verströmen einige Weißweine, insbesondere Sauvignon Blancs aus Neuseeland, intensive Stachelbeer-Aromen. Aber mit ein wenig gutem Willen lassen sich diese auch in fast jedem anderen Weißwein finden. Gleiches gilt prinzipiell auch für „Litschi“. Wenn jemand noch andere Früchte kennt, wendet Euch bitte vertrauensvoll an den Verfasser.

„Noch ein wenig zu jung, macht aber jetzt schon Spaß.“ oder anspruchsvoller:
„Die Tannine sind noch recht robust. Ich bin mir aber sicher, dass diese mit zunehmender Flaschenreife abschmelzen werden.“

Diese Aussage ist im Falle junger Rotweine zumeist eine Tautologie. Naturgemäß sind die Gerbstoffe eines jungen Weines deutlicher zu spüren, was idealerweise mit dem Einstreuen des Begriffs „adstringierend“ unterstrichen wird und enorm hilfreich für die Erklimmung der Trichterskala vinophiler Arroganz ist. Wer dann noch in der Lage ist folgende Aussage zu tätigen: „Im Laufe der Flaschenreife polymerisieren die Tannine mit Anthocyanen zu nicht adstringierend wirkenden, langkettigen Molekülen. Die Adstringenz des Weines geht dabei stetig zurück, wodurch sich der Wein angenehmer trinken lässt.“, dem dürften im günstigsten Fall die Schlafzimmertür, im weniger angenehmen die Haustür offen stehen…

„Die Aromen von feuchtem Sattelleder zeigen, dass der Weinberg biodynamisch mit dem Einsatz von Pferden bewirtschaftet wurde.“

Das ist natürlich völliger Blödsinn, klingt aber so schön nachhaltig und sammelt reichlich Scorerpunkte auf dem Weg zum Großen Claudia Roth/Renate Künast-Verdienstkreuz am grünen Bande…

„Ich habe den Verdacht eines leichten Korkschmeckers.“

Die Aussage erscheint dem Experten immer dann angebracht, wenn er das Zeugs in seinem Glas als Zumutung empfindet, also noch schlimmer erscheint als „sehr gefällig“ (siehe oben). Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Weinfehler. Auch die subjektive Wahrnehmung spielt eine große Rolle, ob ein bestimmter Geruch und Geschmack bereits als Fehler empfunden wird. Es gibt einige Grenzfälle, bei denen ein bestimmter Geruch oder Geschmack für den einen angenehm und positiv, für den anderen jedoch unangenehm bis fehlerhaft ist. Beispiele dafür sind der typische Petrolton eines gealterten Rieslings oder der erdige Geruch und als „Pferdeschweiß“ bezeichnete Ton mancher Rotweine. Darüber hinaus gibt es aber objektiv feststellbare allgemein gültige Mängel, die von einer bestimmten Norm abweichen. Die Bandbreite geht von kaum oder schwach wahrnehmbar bis zu unangenehm und verdorben und hängt auch von Erfahrung und Sensibilität ab.
 Dies alles hat der Experte mit seinem Verdacht aber vermutlich nicht im Sinn, es sei denn, er hat in diesem einen Fall tatsächlich Recht mit seiner Einschätzung des Korkschmeckers. Dann gibt es für die Konsumenten eigentlich nur zwei Alternativen: Entweder schnell austrinken, denn Korkfehler verschlimmern sich mit zunehmendem Luftkontakt, oder unter Absingen schmutziger Lieder in den Ausguss damit.


„Die Farbintensität des Weins ist bemerkenswert!”
Die Beurteilung eines Weins wird von Experten ja in der Reihenfolge „Auge – Nase – Mund“ vorgenommen. Daher kommt eine Kenner-Aussage zur Farbe eines Weins per se immer gut. Bei Weißweinen lässt sich tatsächlich ein Spektrum von Grau-, Grün-, Hell-, Zitronengelb über verschiedene Goldtöne bis hin zu Bernstein und Braun differenzieren, bei Rosé von „Zwiebelschalen“ im Falle von Rosé-Champagnern über Lachs- bis zu Himbeerrot, bei Rotweinen von Kupfer-, Ziegel-, Granat-, Rubin-, Kirschrot bis zu Purpur, Violett und Schwarzrot. Insofern kann der Experte selbst dann um Anerkennung buhlen, wenn er das Glas noch nicht mal an Nase oder Mund geführt hat. Allerdings ist bei der Auswahl der Farbattribute Vorsicht geboten. Assoziationen wie „Kermit unter der Achsel“ bei der Farbe eines Weißweins oder „Flamingo-Sperma“ bei einem Rosé könnten eher kontraproduktiv wirken.

„Der Wein hat wirklich einen großartigen, langen Abgang!”

Diese Aussage lässt sich ganz opportunistisch immer dann tätigen, nachdem man einen Schluck genommen hat. Dann wartet der Kenner ein paar bedächtige Sekunden und wendet sich in konspirativem Ton und anerkennend nickend an seine Fangemeinde. 
Mit Abgang ist in diesem Fall die Intensität und Länge des Nachgeschmack des Weins gemeint. Sollte die Beschreibung des Abgangs allerdings um Begrifflichkeiten wie „Kuhstall“, „Erdbeerbowle“ oder „Frostschutzmittel” angereichert werden, dürfte dem Absender der eigene Abgang gewiss sein.

„Der Wein spiegelt sein Terroir nahezu perfekt wider.“
Mit dieser Phrase bewegt man sich in den ganz hohen Sphären des Weinsnobismus. Auch wenn in zu vielen Gegenden der Welt offenkundig „Terroir“ mit „Terror“ verwechselt wird, ist die Semantik des Begriffs nicht selbsterklärend. Bruno Prats, der frühere Besitzer des Château Cos d’Estournel in Saint-Estèphe/Bordeaux, also zweifellos ein profunder Kenner der Materie, hat den Begriff so definiert: „Der französische Begriff Terroir erfasst alle natürlichen Voraussetzungen, die die Biologie des Weinstocks und demzufolge die Zusammensetzung der Traube selbst beeinflussen. Terroir ist das Zusammentreffen von Klima, Boden und Landschaft, das Zusammenwirken einer unendlichen Anzahl von Faktoren:…“
Da steckt also eine Menge drin, in diesem Begriff „Terroir“. Und der selbsternannte Experte glaubt also, neben der Rebsorte auch das Klima und den Boden erschmecken zu können. Das hat schon etwas Blasphemisches, denn schließlich kann nur der Papst mehrere hundert internationale Flughäfen am Geschmack ihrer Rollbahn erkennen. Aber in jedem Fall erweckt man den Eindruck eines wahren Kenners. Ganz weit oben auf der nach oben offenen Trichterskala!

Diese kleine Auswahl zeigt hoffentlich vor allem eines: Schaum.Schlagen sollte man am besten einfach sein lassen! Der von mir sehr geschätzte amerikanische Winzer Charles Smith, der als Autodidakt mit bewegter Vita im State Washington großartige und mittlerweile auch sehr gesuchte Weine erzeugt, hat dies in der Beschreibung seiner eigenen Tropfen so einfach wie treffend ausgedrückt:

„It’s just booze – drink it!“